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Für eine Hand voll Likes mitten rein in die Vergessenskultur – Wie die grenzenlose Selbstinszenierung und das allgegenwärtige Geltungsbedürftnis einer jungen Generation in den sozialen Medien versehentlich das dunkelste Kapitel der Deutschen Geschichte relativiert.
Von Matteo 

Als ich vor ungefähr einer Woche morgens, noch ziemlich schläfrig durch Instagram stöberte und im Feed plötzlich auf ein Foto aufmerksam wurde, welches eine junge Frau zeigt, die mit einem enthusiastischen Grinsen im Gesicht zwischen zwei der Stelen in dem Wohl berühmtesten Holocaust-Mahnmal der Welt, dem „ Denkmal für die ermordeten Juden in Europas“ in Berlin gestoßen bin, wurde ich diesbezüglich das erste Mal nachdenklich. Als ich daraufhin interessiert auf den verlinkten Location-Tag des benannten Mahnmals über dem Bild klickte, stockte mir teilweise der Atem. Hier lassen sich in kurzer Zeit hunderte, wenn nicht tausende Bilder, von gerade jungen Menschen aus aller Welt, welche scheinbar ohne jedes Gefühl von Scham finden, welche die beeindruckende Szenerie und gespenstische Stimmung, die durch die beeindruckende Architektur des New Yorker Architekten, Peter Eisenmanns verstärkt wird, für ihre Foto Shootings nutzen. Wer allerdings denkt hierbei würde nur in nachdenklicher Pose fotografiert um die Stimmung und die Bedeutung dieses geschichtlich einzigartigen Verbrechens darzustellen, irrt sich gewaltig.

Das knapp 19.000 Quadratmeter große Mahnmal mit 2711 unterschiedlich hohen Stelen ist bereits seit seiner Eröffnung im Jahre 2005 Jahr für Jahr mehr zum Outdoor-Fotostudio, sowie zur Freilicht – Turn- und Kletterhalle zu einem Spielplatz für gerade junge Menschen geworden. Auf der Jagd nach ein paar Likes wird hier Tag für Tag fleissig geklettert und geturnt, für Fotos und Videos mit einem Lachen im Gesicht gepost und waghalsige Handstände und Spagate zwischen den Stelen gemacht. Dass es sich hierbei jedoch um ein Holocaust Mahnmal gegen das Vergessen eines der schlimmsten Verbrechen aller Zeiten auf der ganzen Erde handelt, scheint hier schon lange nicht mehr alle zu beschäftigen.

Das Denkmal für die ermordeten Juden in Europa steht sinnbildlich für alle jüdischen Opfer des Nationalsozialismus - mitten in Berlin - und soll ursprünglich bis Heute ein Ort sein des bewussten Erinnerns, über grauenhafte Zahlen von 6 Millionen getöteten Juden mitten in Europa. Von diesen starben alleine 4 Millionen in Vernichtungslagern wie Ausschwitz oder Bergen-Belsen um nur Zwei von vielen, der schlimmsten Orte zu nennen, wo in der Zeit des Nationalsozialismus mit akribischer Fließbandmanier und Hochdruck an der Ausrottung der Juden „gerarbeitet“ wurde und spätestens seit der Wannsee-Konferenz, 1942, gar nicht weit entfernt von dem heutigen Holocaust Mahnmal, die Endlösung der Judenfrage beschlossen wurde.

Doch wenn man schon, wie beispielsweise meine Person, über diese Entgleisungen im Umgang mit Social Media, wie ich finde zurecht, schockiert ist, muss man sich einfach mal Bilder von Instagramern und Influencern anschauen, die nicht einmal davor zurückschrecken vor beispielsweise dem größten Konzentrationslager der Nationalsozialisten, in Ausschwitz- Birkenau für ein paar Likes zu posen. Dies ist ein Ort an dem zwischen 1940 und 1945 mindestens 1,1 Milllionen Menschen, davon mehr als 90 Prozent Juden, hauptsächlich mit Zyklon B, in einer der 7 Gaskammern systematisch vergaßt und somit getötet wurden. Frei nach der „to travel is to live“- Manier der oft jungen Influencerinnen wird vor den Toren in beispielsweise Ausschwitz posiert, als wäre man vor dem Eifelturm, oder dem Brandenburger Tor.

Wenn auch nur den Wenigsten vorzuwerfen ist, dass sie bewusst durch ihre Aktionen zu Relativierung und zur Vergessenskultur beitragen, ist es dennoch wichtig anzuprangern und klarzustellen, dass Orte, welche sinnbildlich für die dunkelsten Kapitel menschlichen Lebens auf diesem Planeten stehen, niemals vergessen werden dürfen, oder durch eine gesellschaftliche Toleranz- und Ignoranzhaltung normalisiert werden dürfen. Wer für ein bisschen Selbstinszenierung und ein paar Likes bereit ist, mit den Füßen auf die Stelen zu stehen und dort für seine Snapchat-Story, oder ein neues Instagram-Bild zu posieren, posiert auf den Köpfen der 6 Millionen jüdischen Opfer und deren Angehörigen. Wer hier mit einem Grinsen im Gesicht einen Handstand, oder einen Spagat macht, macht diesen auf den Köpfen von 4 Millionen jüdischen Opfern, die alleine in Konzentrations, Arbeits und Vernichtungslagern in Europa durch den Nationalsozialismus getötet wurden.

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